Herz über Blut
ENDE OKTOBER
Eine unerwartete Bewegung am Rande seines Gesichtsfelds ließ ihn zusammenzucken. Bei seiner ruckartigen Drehung hätte er beinahe die schwarze Bodenvase mit dem Bündel Weidenzweige umgerissen.
Was er für eine Bedrohung gehalten hatte, entpuppte sich als herbstlicher Lufthauch, der durch das geöffnete Fenster geweht war und die blauen Vorhänge blähte.
»Schließ' das Fenster!«, wies er einen seiner Begleiter an. Der junge Mann gehorchte.
Seine behandschuhten Hände strichen über den verblichenen roten Samtbezug eines Sessels. Er widerstand dem Drang, in dem wohlvertrauten Möbelstück Platz zu nehmen. Spuren konnte er sich nicht erlauben.
Das Geräusch des Schlüssels im Schloss. Seine beiden Angestellten reagierten schnell und nahezu geräuschlos. Nur Augenblicke später zerrten sie eine Frau mittleren Alters in das kleine Wohnzimmer. Sie war vollkommen starr, nur der Blick ihrer grünen Augen huschte panisch zwischen den Angreifern und ihm hin und her.
Die beiden Männer in den schwarzen Anzügen ließen sie rücklings auf den bunten Webteppich fallen. Er positionierte sich so, dass sie ihn gut sehen konnte. Ihre Augen spiegelten Erkennen.
»Hast du etwa gedacht, du könntest dich ewig vor mir verstecken?« Sein Lachen war kalt und misstönend. »Keine Angst, die Betäubung wird in ein paar Minuten nachlassen. Dann wirst du mir sagen, wo sie ist. Andernfalls …« Die Waffe schmiegte sich perfekt in seine Hand. Die Macht, die ihn durchströmte, war berauschend.
»Du wirst sie niemals finden!« Die Stimme der Frau zitterte. Ihre Worte aber waren klar und durchdrungen von einer eigentümlichen Kraft. Das Muskelrelaxans schien schlagartig seine Wirkung verloren zu haben. Viel zu früh. Er durfte diese Frau auf keinen Fall unterschätzen.
Seine Handlanger waren zur Stelle, hielten ihre Arme und Beine. Sie wehrte sich nicht, starrte ihn an. Ihn fröstelte. Der Raum schien um mehrere Grad kälter geworden zu sein. Er hatte keine Lust auf ihre Spielchen oder ein langwieriges Kräftemessen. »Ist das dein letztes Wort?«, fragte er, während ihre Blicke einen stummen Kampf ausfochten.